Meine jüdischen Eltern, meine polnischen Eltern
Das Ghetto bedeutete den Tod. Meine Eltern haben mich abgegeben, um mir das Leben zu retten
Am 15.Mai 1943 trug mich ein blauer Polizist aus dem Warschauer Ghetto. Heute weiß ich, dass es höchstwahrscheinlich Paweł Gołąbek war. Auf einem Zettel, den ich bei mir hatte, standen der Vorname Anna und ein Datum, der 13. Oktober 1942 – vermutlich mein Geburtsdatum -- sowie ein Satz, in dem ich dem Schutz Gottes und guter Menschen anvertraut wurde. Den Familiennamen hatten meine Eltern verheimlicht, um mich zu schützen. Meine polnischen Eltern respektierten ihren Willen und behielten meinen Vornamen bei. Die einen wie die anderen sorgten für mich so gut sie konnten.
Meine Eltern nahmen mich zu sich, um mich zu erziehen, nicht nur, um mich zu verstecken. Sie wollten nur das Beste für mich
Stefania und Albin Dubiniecki sorgten für mich. Ich wurde als ihre Tochter getauft. Meine Papiere waren vom Kleinkinderheim „Pfarrer Baudouin“ ausgestellt, damit meine Eltern nötigenfalls erklären konnten, woher sie plötzlich einen acht Monate alten Säugling hatten. Nach dem Krieg zogen meine Eltern nach Siemianowice in Schlesien, wo ich die glücklichste Zeit meines Lebens verbrachte. Ich hatte eine liebevolle Familie, Mutter und Vater sorgten nicht nur für mich, sie verwöhnten mich sogar. In der Zeit zwischen 1947 und 1951 gaben meine Eltern mich häufiger ins Kleinkinderheim in Turawa oder in ein Heim an einem anderen Ort. Ich hatte so große Sehnsucht nach ihnen, dass ich verschiedene Krankheiten simulierte, nur um wieder zu meinen Eltern zu kommen. Heute weiß ich, dass damals nach jüdischen Kindern gesucht wurde, die polnische Familien gerettet hatten. Später zogen wir nach Katowice um und mein Vater wurde krank. Er starb, als ich neun Jahre alt war. Mama, die als Frau eines Vorkriegsoffiziers nie beruflich gearbeitet hatte, musste uns beide jetzt allein unterhalten. Als Witwe eines Kriegsinvaliden konnte sie einen Ruch-Kiosk in Pacht nehmen. Nach Vaters Tod erhielt ich anonyme Schreiben, aus denen ich erfuhr, dass ich ein jüdisches Kind sei, ein Findelkind u.ä.m.. Die Absender meinten, dass ich nicht in einer polnischen Familie aufwachsen, sondern besser zu „meinen Leuten“, d.h. nach Israel gehen sollte. Mama stritt alles ab und behauptete, dass ich ihr Kind sei. Ich spürte, dass sie mir nicht die Wahrheit sagte, aber ich wollte sie nicht aufregen und schwieg deshalb. Eine kurze Zeit lang spielte sie sogar mit dem Gedanken, Polen zu verlassen. Ende der 1950er Jahre wurde Mama ernsthaft herzkrank und musste häufig ins Krankenhaus. Wir hatten keine Familie, an die ich mich hätte wenden können. Sie starb im November 1958. Damals war ich 16 Jahre alt und mutterseelenallein.
Anna Szpanowska
schloss ein Lehrerinnen- und Biologie-Studium an der Jagiellonen-Universität in Krakau ab und leitete später das Labor in Puławy. Sie ist Gründungsmitglied der Gesellschaft „Kinder des Holocaust“ in Polen. Sie hat zwei Kinder und vier Enkelkinder.
Eltern
Stefania Dubiniecka
geb. Matukańska
(1900–1958)
Mama stammte aus den polnischen Ostgebieten und hatte in Warschau ein Pensionat für höhere Töchter besucht. Sie war eine prächtige Ehefrau und Mutter.
Mutter unbekannt
Albin
Dubiniecki
(1896–1952)
Oberstleutnant der polnischen Armee, nahm 1939 am Septemberfeldzug zur Abwehr des Angriffs der Wehrmacht auf Polen. Während der deutschen Besatzung gehörte er der Landesarmee (AK) an; 1944 wurde er in die I. Kościuszko-Armee übernommen.
Vater unbekannt