Meine jüdischen Eltern, meine polnischen Eltern
Als ich mich von meiner leiblichen Mutter getrennt hatte, vergaß ich sie völlig. Sie verschwand einfach aus meinem Gedächtnis.
Ich wurde 1938 in Radomsko geboren. Ich hieß Renata, in der Koseform Renia. Mein Vater Izydor Präminger hatte dort eine Anwaltskanzlei. Wir waren eine glückliche Familie; ich hatte Eltern, eine Kinderfrau und einen acht Jahre älteren Bruder Bronuś. Nach Kriegsbeginn zogen wir nach Brody zu meinen Großeltern. Dort mussten wir 1942 ins Ghetto. Meine Eltern konnten sich in dieser furchtbaren Wirklichkeit nicht zurechtfinden. Die Kinderfrau, die bereits seit 13 Jahren bei meinen Eltern arbeitete und ihnen sehr eng verbunden war, wurde unsere Retterin. Sie beschaffte Lebensmittel und Kleidung, bewahrte uns vor Hunger und Kälte. Die Lage wurde immer verzweifelter, es brach Typhus aus und die Deportationen nach Bełżec begannen. So beschlossen meine Eltern, mich der Obhut meiner Kinderfrau anzuvertrauen. Sie nahm mich an die Hand und führte mich aus dem Ghetto. Eines Tages befanden sich auch meine Mutter und mein Bruder unter denen, die ins Todeslager deportiert werden sollten. Als sie durch die Stadt zogen, flüchtete mein Bruder auf Drängen unserer Mutter aus der Kolonne, versteckte sich und ging des Nacht in die Wohnung der Kinderfrau. Kurz darauf kam auch unser Vater hinzu. Die Kinderfrau fand für sie ein Versteck bei einem Bauern in dessen Schober. Jeden Monat zahlte sie dem Bauern eine Rate für Papas und Bronuś' Leben, bis Anfang 1944. Dann wurden sie entweder den Deutschen ausgeliefert oder der Bauer, der sie bisher versteckt hatte, ermordete sie.
Von einem Tag auf den anderen wurde die Kinderfrau meine Mutter, und ich hielt das für selbstverständlich
Meine Mutter beschaffte für mich Dokumente, die bezeugten, dass ich ihr leibliches Kind war. Sie gab mir ihren Namen und ließ mich auf die Namen Irena Stanisława taufen. Ich war ein Kind und mir weder der Gefahr bewusst, die uns drohte, noch der Last, die meine Mutter zu bewältigen hatte. Sie musste sich vor ihren eigenen Geschwistern verstecken, die es abgelehnt hatten, meine Familie zu verstecken und damit drohten, uns den Deutschen auszuliefern. Der Tod meines Vaters und meines Bruders brachte die Kinderfrau fast um den Verstand, weil sie sich schuldig fühlte, sie nicht gerettet zu haben. Nach der Befreiung beschloss meine Mutter, die Ukrainerin war, mit mir nach Polen auszureisen. Nach einer Reise, die zwei Monate dauerte, befanden wir uns in Opole [Oppeln]. Wir wohnten hoch oben unter dem Dach, ohne Wasser und Kanalisation, aber wir waren glücklich, dass wir noch lebten und zusammen waren. Ich war ein fröhliches Kind – die Liebe meiner Mutter war Entschädigung für alle tragischen Erlebnisse. Mitunter wurde unsere Ruhe durch Besuche Unbekannter gestört, die mich gegen beträchtliche Geldsummen mitnehmen wollten. Heute weiß ich, dass sie aus Israel kamen. Meine Mutter hatte keinen Beruf gelernt, sie hatte nur drei Klassen einer ukrainischen Volksschule besucht und konnte kaum Polnisch lesen und schreiben. Unseren Lebensunterhalt verdiente sie mit Schwerarbeit als Maurergehilfin in einer Zementfabrik. Bei aller Armut schaffte sie es, dass ich mein Studium abschließen konnte. Ich half ihr so gut ich konnte; ich gab Nachhilfeunterricht und fuhr als Erzieherin mit in Ferienkolonien. Meine Mutter war stolz auf mich und liebte mich wie ihre eigene Tochter. Meinetwegen heiratete sie nicht.Ich war ihre wahre Familie und sie meine. Als ich die Wahrheit über meine Herkunft und den tragischen Tod meiner Eltern erfuhr, änderte sich unsere Beziehung nicht. Ich fühlte mich weiterhin als ihr Kind. An diesem Gefühl wird sich auch nichts ändern.
Irena Szczurek
schloss ein Mathematikstudium an der Universität Wrocław ab und arbeitete als Lehrerin an der Elektronisch-Energetischen Schule in Łódź. Sie hat zwei Kinder und drei Enkel.
Eltern
Maria
Hromiak
(1909–1991)
Sie war kein Alltagscharakter: stark, hart und dabei äußerst sensibel. Gerechte unter den Völkern
Emilia Präminger
geb. Celler
(zm. 1942)
Ich habe kein Andenken an sie und kann mich nicht an ihr Gesicht erinnern. Das tut mir bis heute weh.
Izydor
Präminger
(zm. 1944)
Er war ein ungewöhnlich rechtschaffener und ehrlicher Mensch. Davon zeugen die Briefe, die er uns aus seinem Versteck schrieb. So hat ihn auch meine Adoptivmutter in Erinnerung.