Meine jüdischen Eltern, meine polnischen Eltern
Meine Schwester kam in einem Erdbunker zur Welt. Sie wurde mit einem Kissen erstickt.
Ich wurde Ende 1939 geboren.Damals hieß ich Ester Goldynsztajn und wurde kurz Tusia genannt. Als Zweijährige befand ich mich mit meinen Eltern im Ghetto in Brody. Dort herrschte furchtbarer Hunger. Im Herbst begannen die Deutschen mit dem Abtransport der Menschen ins Vernichtungslager Bełżec; ein Teil von ihnen wurde schon vorher an Ort und Stelle ermordet. Auf diese Weise kam mein Vater ums Leben. Um mich zu retten, gab meine Mutter mich jemandem zur Aufbewahrung auf der arischen Seite*. Sie selbst versteckte sich in einem Erdbunker, wo sie auch ein Kind zur Welt brachte. Die Menschen, die mit ihr zusammen in der Erdhöhle saßen, befürchteten, dass der Säugling sie mit seinem Schreien verraten könnte – und erstickten ihn. Meine Mutter erlebte die Befreiung und begann, nach mir zu suchen – ohne zu wissen, wo ich mich befand. Der Mann, der mich aus dem Ghetto geholt und bei einer polnischen Familie untergebracht hatte, war inzwischen von den Deutschen ermordet worden. Damit riss die Spur ab. Meine Mutter irrte anderthalb Jahre lang durch Wolhynien, wo sie in Dörfern und Kleinstädten nach mir suchte. In dieser Zeit lebte ich aber bereits in den wiedergewonnenen Gebieten*. Ich hatte neue Personaldaten und mein Name stand auf keiner Liste von Geretteten, sodass meine Mutter mich auch nicht finden konnte. Als sie schließlich die Überzeugung gewann, ich sei umgekommen, beschloss sie, nach Israel auszuwandern. Unterwegs lernte sie ihren zweiten Mann kennen. Mit ihm hatte sie zwei Söhne. Jahre später, 1989, fand ich diese durch genetische Untersuchungen. Leider erlebte meine Mutter das nicht mehr.
Maria und Mikołaj wurden meine Eltern. Ich war blond und hatte blaue Augen, sodass ich, ohne Verdacht zu erwecken, als ihre Tochter gelten konnte.
Zur Familie Titarenko war ich Ostern 1943 gekommen. Meine Haare, meine Kleider, mein ganzer Körper – alles wimmelte von Läusen. Ich schämte mich entsetzlich deswegen. Überall, wo mich das Ungeziefer gebissen hatte, eiterten Geschwüre. Nachdem ich entlaust und gebadet worden war, setzte man mich an den Tisch, auf dem die österlichen Festtagsgerichte standen. Ich war so ausgehungert, dass man mich an den Armen festhalten musste, damit ich mich nicht aufs Essen warf. Ich wurde in der Kirche in Równe [heute ukrainisch: Riwne] getauft und bekam einen neuen Vornamen, einen Familiennamen und ein Geburtsdatum. Nach dem Krieg optierten meine Eltern für Polen und zogen dorthin. Was ich in meiner frühen Kindheit durchgemacht hatte, führte u.a. dazu, dass ich lange Zeit Bettnässerin war. Meine Mutter regte sich deswegen so sehr auf, dass sie ihren Zorn nicht beherrschen konnte und mich schlug. Vermutlich war sie sich dessen bewusst, dass ihre Erziehungsmethoden nicht angemessen waren, aber sie konnte das nicht ändern. Je weniger Liebe sie mir entgegenbrachte, desto mehr verschloss ich mich vor ihr. Ich war auch nicht ohne Schuld. Ich denke, dass man sein leibliches Kind doch ganz anders behandelt als ein Adoptivkind. Meine Mutter brachte mir bei, dass man seine Pflichten ohne Rücksicht auf die Umstände zu erfüllen hatte. Als ich heiratete und nach Toruń [Thorn] zog, nahm ich sie mit und pflegte sie bis zu ihrem Tode. Ich beglich die Schuld, die ich ihr gegenüber hatte. Das Verhältnis meiner Mutter zu mir warf einen Schatten auf mein ganzes Leben. Ich bin sehr reserviert und nicht in der Lage, meinen Nächsten meine Gefühle zu zeigen. So wurde ich erzogen, und das ist mir auch geblieben.
Romualda Mansfeld-Booth
beendete eine Erweiterte Oberschule und arbeitete als Bankbeamtin und Sekretärin des Direktors in einem Unternehmen in Toruń. Sie ist Mitglied der Gesellschaft „Kinder des Holocaust“ in Polen. Sie hat eine Tochter und fünf Enkelkinder.
Eltern
Maria Titarenko
geb. Kucharska
(1906–1994)
Meine Mutter hob jahrzehntelang eine von meinen Kinderblusen auf. Sie wollte, dass ich ein Andenken an meine Familie hatte.
Helena Goldynsztajn
geb. Böhma
(1919 –1977)
Meine Mutter Helena, für Familie und Freunde Lena, starb mit 58 Jahren. Sie hat nie erfahren, dass ich den Krieg überlebt habe.
Mikołaj
Titarenko
(1904–1984)
Mein Vater war Bäker. Er hat mich immer gut behandelt. Er hat mit mir gesprochen und hat mit mir gespielt.
Jakub
Goldynsztajn
(zm. 1942)
Er kam im Vernichtungslager Bełżec um zusammen mit 500.000 Juden aus ganz Europa.